Die Vorherrschaft des Autos beenden
 
 
Global denken - lokal handeln
 
Editorial  
               
 
11.1.2016

Auto 2016 – Der planierte Horizont der Illusionen
Wer bisher von einer Krise oder gar dem Ende des Kapitalismus nichts wissen wollte, der darf sich in der anhaltenden Automobilkrise erneut ermuntert fühlen, sich am Kopf zu kratzen.

von Frank Mankyboddle

Nicht erst mit dem VW Manipulationsskandal hat das Lieblingsidol der kapitalistischen Religion, das „eiserne Kalb“, an Glanz verloren. Schon seit Längerem sind auch die VW-Konkurrenten von Manipulationen, gigantischen Rückrufaktionen und Skandalen betroffen.

An welcher Stelle könnte augenfälliger sein, wie weit Wunsch und Wirklichkeit in der kapitalistischen Welt auseinanderklaffen, als bei dem Anspruch, dass Autos eben auch „freundlich“ zu unseren Lebensgrundlagen zu sein haben. Was die jungfräuliche Geburt im Christentum, das ist das „umweltfreundliche Auto“ im Kapitalismus. Wir wissen, dass solch absurde Illusionen Jahrtausende überdauern können und die Menschheit durchaus darin geübt ist das Unmögliche als unumstößliche Wahrheit zu akzeptieren. Und so öffnet sich deshalb, im ganz banalen Detail, die Schere zwischen den „strengen“ Emissionswerten und den realen Abgasen immer weiter. Die Technik wird nicht eingesetzt, um die Luftverpestung zu reduzieren, sondern um die Illusion einer Reduktion zu erhalten. Kapitalistischer „Umweltschutz“ a la Potemkin.

Da keine Kritik an Religion und Götzenbild geduldet wird, muss also die Realität geleugnet und eine entsprechende Scheinwelt implementiert werden. Der Realitätsverlust „im Osten“, über den sich einst „der Westen“ gerne lustig machte, hat „den Westen“ längst eingeholt. Und fast unbemerkt ist das System in die Defensive geraten. Zwar heißt es immer wieder, der Kapitalismus werde sich ständig reformieren und anpassen. Aber stimmt das wirklich? Wie will sich ein System derart grundlegend reformieren, ohne unerkennbar zu werden? Ein System, dessen Name in seinem Kern und Wesen Synonym für permanentes materielles Wachstum ist, das aber in einem begrenzten Lebensraum, unserem Planeten, fortbestehen soll? Stattdessen dann Kapitalismus ohne materielles Wachstum? Purer Unfug!

Als Zeitzeuge der Wende 1989 hat man eindrucksvoll vor Augen, wie ein Systemuntergang aussehen KANN. Und natürlich ist auch das System Kapitalismus nicht untergangsresistent. Im Gegenteil es fiebert und produziert ihm geradezu entgegen. Seine heutigen Protagonisten wirken zudem wie Plastikkopien ihrer Originale, nicht unähnlich den kommunistischen Führern einst auf ihren Tribünen. Was früher „hart wie Kruppstahl“ war ist heute weich, bunt, allgegenwärtig und billig wie Plastik. Währenddessen lebt die kapitalistische Elite, und ihre mit buntem Plastik-Plunder besänftigten Massen, von der Illusion, mit der Effizienz der Suffizienz entrinnen zu können, was genauso naiv und unmöglich ist, wie seinem eigenen Schatten zu entkommen, was bekanntermaßen nur möglich ist, wenn „die Lichter ausgehen“.

Während mittlerweile alle Weltengegenden - von den apokalyptischen Bränden in Indonesien, für das Palmöl im „Biosprit“ E10, bis zu den gigantischen Plastikstrudeln im Pazifik - unverkennbar die Verwüstungen kapitalistischen Wirtschaftens aufweisen, verkaufen uns die Wachstumsideologen ihre Ideologie unverdrossen als alternativlos. „Den Kapitalismus  in seinem Lauf…“ - Dabei sind die Alternativen jeden Tag im Fernsehen zu sehen. Diverse Fundamentalismen, die natürlich in der global vorherrschenden kapitalistischen Realität eingebettet sind, aber trotzdem für einen, allerdings unglimpflichen, Systemwechsel bereit stehen. Ein islamistischer Feudalismus z.B. wäre eben KEIN Kapitalismus mehr. Ein häufig anzutreffender Betrachtungsfehler liegt dabei in der populären, aber eben falschen, Gleichsetzung jeder Art von Handel mit Kapitalismus.

Wenn die Demokratien also nicht in der Lage sind die Suffizienz, also den Verzicht, den Teufel des Kapitalismus, in ihre Gesellschaften zu bringen, dann werden es andere Systeme tun. Für jedes geschlossene (Öko-)System, das dauerhaft, oder sagen wir nachhaltig, existieren soll, ist die Suffizienz zwangsläufig und unabdingbar, und es ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie in der Form einer Diktatur kommt, die alle bisherigen Diktaturen in den Schatten stellt. Wobei Suffizienz dann, bar jeder bewussten und zivilen Gestaltung, nichts als ein Auskommen mit dem bedeutet, was das ungesunde Amalgam aus Anarchie und Despotismus dem Einzelnen zukommen lassen wird. Wer heute über Wachstumskritiker und Suffizienz-„Propheten“ lacht, der darf es dann nocheinmal versuchen, wenn jeglicher demokratischer Handlungsspielraum Geschichte ist.

Suffizienz KÖNNTE weniger Arbeit und mehr Muße und Kultur  bedeuten und ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ wäre ein gangbarer Weg dorthin. Aber das Leben soll ja kein „Freizeitpark“ sein, sondern in Deutschland ein Gewerbepark, am Besten mit Kita, Kino und Kirmes. Aller Wachstumskritik zum Trotz entstehen immer noch mehr solcher „Parks“ auf der „Grünen Wiese“, die das schon jetzt gespenstisches Bild urbaner und ländlicher Zerstörung ausweiten. Gewissermaßen eine Selbstzerstörung der viel beschworenen „Leitkultur“, die weiterhin unbekümmert und gleichzeitig wie ferngesteuert, und mit Verweis auf die „Realität“, der allerdings selbst erzeugten Sachzwänge, als „Auto-Selbstfahrer“ mit Pendlerpauschale dem Motogeddon entgegensteuert.

Die kafkaeske Besinnungslosigkeit und Selbstverständlichkeit mit der die eigene unmittelbare Lebensumwelt bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet und degradiert wird, ist dabei nur eines der absurden Begleitphänomene des Strebens nach vermeintlichem Wohlstand und Fortschritt. Wer realisiert erstens schon, dass es das Auto war, das die Wege zum nächsten Arzt, Laden oder Kino immer länger gemacht hat. Und wer realisiert zweitens, dass analog dazu seit einiger Zeit die ländlichen Gegenden genau deshalb zu veröden drohen, obwohl, aber eben eigentlich weil, der individuelle Motorisierungsgrad höher denn je ist. Noch in den sechziger Jahren hatte jedes größere Dorf seinen Kaufmannsladen.

Ein Phänomen, das Nicht-Autofahrern ihre autleristischen Zeitgenossen besonders lieb gewinnen lässt, ist die immer wieder zu beobachtende Tatsache, dass die Menschen mit den größten Autos nur ungerne auch an den größten Straßen ihrer Stadt leben. Nein, der SUV gehört ins Idyll und an den Stadtrand, von dem aus der Fahrzeughalter mit Flüchen auf Radfahrer, öffentliche Verkehrsmittel und Parkgebühren ins Zentrum pendelt. Und niemals würde er sein Haus an eine Bundesstraße oder  Umgehungsstraße bauen, von denen letztere oft gerne durch die letzten noch unvertrassten Bereiche organisch gewachsener Kleinstädte geschlagen werden.

Geradezu irre ist in Anbetracht all dessen der allseits gern verbreitete Glaube an eine „Energiewende“ und zwar durchaus auch von den Personen, die schon bei den kleinsten Abstrichen an ihren Motorisierungsansprüchen heftige Abwehrreaktionen zeigen. Und ganz allgemein ist der deutsche Wohlstandsanspruch von der Gestalt, dass schon ein Infragestellen des jeweils aktuellen Wohlstandsniveaus zu wütenden Diffamierungen gegen die führt, die alternative Lebensweisen auf FREIWILLIGER Basis auch nur vorschlagen. Man denke nur an die Anti-„Veggie-Day“-Hysterie.

Es gibt also keinerlei Anlass für Optimismus, schon gar nicht im Fahrwasser des Pariser „Klimagipfels“ 2015. Zu sehr erinnern die vereinbarten Ziele und euphorisch übermittelten Verlautbarungen an das berühmt gewordene „wir schaffen das!“ der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage. Nur, dass in Anbetracht der oben erläuterten Besitzstandsmentalitäten, das Wunschdenken bei der Klimafrage noch krasser ins Kraut schießt. Die Zeit des jetzigen Wohlstands müsste die Zeit der notwendigen FUNDAMENTALEN Umstrukturierung sein. Doch sie verstreicht Jahr für Jahr und während man in Paris beschließt im Jahr 2100 weltweit (!) zu 100% Kohlenstoff-freien Wohlstand zu schaffen, werden 2016 in Berlin, Heidelberg und Detmold neue Parkplätze gebaut, damit ab 2017 noch mehr Menschen mit ihren Autos in die Zentren fahren können. Man könnte einem Patienten auch erklären, dass die Kur für Kopfschmerzen unter der Guillotine zu finden sei. Würden Sie’s glauben?

Und so steuert der automobilisierte Mensch in seinen planierten Horizont der Illusionen - über Gräber, Kröten, Biotope und Kinder voran. Die nie gesättigte Saturiertheit der spätkapitalistischen Gesellschaft lässt eine „Wende“ gar nicht mehr zu. „Plenus venter non libet studenter“. Das System muss erst an seine absoluten Grenzen stoßen - wir haben das schon einmal erlebt, mit glücklichem Ausgang. Aber - beim nächsten Systemzusammenbruch steht kein anderes System bereit, um alles abzufangen und vom Kollaps des alten Systems zu profitieren. Gott sei mit Euch!


Reality Check: Endenergieverbrauchsstruktur (ifo-institut)

http://www.cesifo-group.de/de/dms/ifoimg/img/event/eventsdiv/Zukunft-Energie/Endenergieverbrauch_2010_de__17507184_en.gif

Aus diesem Diagramm wird ersichtlich, dass der Verkehr, nach der Heizwärme, der zweitgrößte Einzelposten beim Endenergieverbrauch ist. 85% des Endenergieverbrauchs stammt immer noch aus fossilen Energieträgern. Neuere Schätzungen vom ifo kommen zu ähnlichen Ergebnissen.