Die Vorherrschaft des Autos beenden
 
 
Global denken - lokal handeln
 
Editorial  
               
 
4.4.2011

Phantasiefreie Zone
von Frank Mankyboddle

Jochen-Martin Gutsch spült seit Jahren, im Auftrag der Berliner Zeitung, in seiner Ich-Kolumne „GUTSCH LEO“, harte Themen weich. Für seinen flapsigen Befindlichkeitsjournalismus, mit dem er die Tiefen seiner Spießigkeit auslotet, hat er bedenklicherweise auch schon Preise eingefahren. Man kann das getrost als vernichtendes Urteil über den deutschen Journalismus werten. Zum Beispiel informiert er sein Publikum in einem seiner jüngsten Machwerke » „Ruby und der Doktor“ darüber, dass er sich weder über Berlusconi noch über zu Guttenberg aufregen kann, und dass „man“ doch ein „lockereres“ und „christlicheres“ Verhältnis zur Korruption entwickeln solle. Er brilliert mit dem Schlusssatz: „Aber mich regt das alles nicht auf. Das Einzige, was mich zurzeit aufregt, sind Fahrradfahrer in engen Straßen, mit geringem Tempo und ohne Licht.“ Das meint er nicht ironisch!

Und damit sind wir beim eigentlichen Thema. Im letzten Beitrag über seinen Kolumnistenalltag » „Tuff-Tuff um die Kirche", der vor mangelnder Sachkenntnis, Lokalbefindlichkeit, Eigeninteresse und dem was Gutsch für Humor hält nur so strotzt, führt er uns in sein Tal der Ahnungslosigkeit. Die Bewohner dieses Tals wünschen sich seit jeher, dass alles so bleibt wie es ist, auch wenn das „Alles“ keine Zukunft hat. Sie erregen sich über kleine Dinge und sind bei den großen Themen ganz großzügig, so wie Gutsch gegenüber Berlusconi und Guttenberg. Die Chance, einem falsch fahrenden Radfahrer die Fresse polieren zu können, ist ja auch deutlich größer, als bei einem Guttenberg. Und die Erregung macht sich bevorzugt an Stammtischen Luft, selbst wenn diese, wie im Gutsch-Kiez im Prenzlauer Berg, Designer-Stammtische sein mögen.

Dieses Mal vergreift sich Gutsch stellvertretend an einer kleinen Bürgerinitiative vor seiner Tür. Er ist ja gewissermaßen betroffen und hier steht ihm ein hinlänglich kleines Opfer zur Verfügung an dem er exemplarisch seine journalistische Zivilcourage demonstrieren kann. Außerdem weiß er, dass beim Thema „Parkplätze“, und um die geht es hier, ausreichend Stammtisch-Power zur Verfügung steht, um neue Leserkreise für sich zu erschließen. Selten kann man so viele Fliegen zum Schnäppchenpreis schlagen.

Man geht kein großes Risiko ein, wenn man wettet, dass es hier unter anderem auch um den Parkplatz von „Anwohner“ Gutsch geht. Gewiss ist dagegen, dass er vom Thema Stadtentwicklung und Stadtplanung keinen blassen Schimmer hat. Die Stadt ist lediglich Projektionsfläche für seine Befindlichkeiten. Mit Visionen und Kreativität überfordert man ihn. Eine moderne, lebendige und so gar nicht „scheintote“ Stadt mit viel weniger Autos – solche Ideen übersteigen seinen Horizont, der offensichtlich am Stadtrand endet, wie wir gleich noch sehen werden. Wer gar versucht eine Stadt heterogener zu gestalten, als es die „autogerechte Stadt“ zulässt, dem attestiert er geradeheraus jenes Eigeninteresse, für das er selbst lautstark trommelt.

Von Recherche kein Spur. Neuere und ältere Erkenntnisse der Urbanitätsforschung sind ihm schnuppe. Neue Mobilitätskonzepte? Postfossile Mobilität? Fehlanzeige. - Für Gutsch gilt die Stammtisch-Urbanistenformel „Stadt = Laut und dreckig“, und zwar zwingend. Hier wird eine Binsenweisheit zum Dogma. Natürlich ist eine Stadt inhärent lauter als ein Dorf, aber man kann sinnlose und überflüssige Lärmeffekte reduzieren und minimieren, und zwar ohne die Stadt zu veröden, im Gegenteil. Was könnte öder und lebloser sein, als ein Parkplatz? Und nicht viel mehr ist der Platz um die Gethsemanekirche herum. Gutsch findet ihn „völlig okay“. Denn wer keine Phantasie hat, der vermisst natürlich auch nichts - außer abhanden gekommenem Besitzstand natürlich.

Bei all den krachledernen Ansichten, die Gutsch über den zu bewahrenden Status Quo des Gethsemaneplatzes zum Besten gibt, werfen sich Fragen auf: Warum sollen Menschen, die mehr relative Ruhe und gute Luft wünschen, sich an den Stadtrand verbannen lassen? Damit sie als Pendler die Luft wieder verpesten und verlärmen müssen, die sie als Fußgänger und Radfahrer geschont hatten? Oder sollen sie gar arbeitslos bleiben? Und warum sollen ausgerechnet Nicht-Autofahrer an den Stadtrand oder auf’s Dorf ziehen? Etwa um DIE langen Wege in Kauf zu nehmen, die der Autoverkehr verursacht? Warum verbannt man im Umkehrschluss nicht die AUTOFAHRER an den Stadtrand oder nach Wolfsburg oder wenigstens an die Hauptverkehrsstraßen, was gerecht und praktisch wäre?

Die Gethsemanestraße ist übrigens nicht klein, eng und krumm, sie wirkt nur so, weil sie mit rechtwinklig parkenden Autos zugestopft ist. Der winzige Spielplatz ist von Autos völlig umstellt und auf der Straße können Kinder nicht spielen, obwohl sie dafür bestens geeignet wäre. Die Nebenstraßen der Stadt sind seit jeher für Kinder der natürlichste Spielort, oder zumindest waren sie es. Aber das würde vermutlich für Gutsch ZU VIEL Leben bedeuten, zumal in einem Land wo man hingebungsvoll gegen Kindergärten klagt. Schon jetzt beschweren sich einige Anwohner über die spielenden Kinder auf dem Minispielplatz. Die Autos dagegen sind heilig. So bleibt auch im Jahre 2011 „der Deutschen liebstes Kind: das Auto“, das 23 Stunden pro Tag am Straßenrand STEHT und dort massenhaft den öffentlichen Raum gratis für die Eigeninteressen ihrer Besitzer beansprucht. Um Judith Holofernes zu zitieren: „Ich glaub, es hackt.“

Ansonsten kann man Gutsch, der seinen Besitzstand wortgewaltig vor „Arschgesichtern“ verteidigt, nur den alten Kinderspruch zurufen: „Finger in’n Po, Mexiko“ - dort wenigstens entdeckt man gerade den „Grünen Verkehr“ und die von Gutsch so verhasste Verkehrsberuhigung… (www.youtube.com/watch?v=xGm5RnJEsnY)

Den nächsten Theodor Wolff Preis dann bitte an Gunnar Schupelius. Niemand kennt sich mit „aufsteigende Magensäure“ produzierendem „Journalismus“ besser aus.

Frank Mankyboddle